Veranstaltung: | Sommer-Landesmitgliederversammlung 2019 der GRÜNEN JUGEND NRW |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | Grüne Jugend Dortmund (dort beschlossen am: 21.07.2019) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 22.07.2019, 12:08 |
V10: Kein Climate Engineering mit uns
Titel
Antragstext
Im Kampf gegen die sich immer weiter verschärfende Klimakrise rückt inzwischen
auch Climate Engineering in den Fokus. Darunter werden großskalige Eingriffe in
das Klimasystem zusammengefasst, die darauf abzielen, die menschgemachte
Klimaerwärmung abzumildern. Weil derartige Maßnahmen auch eine Bedrohung für die
Artenvielfalt darstellen, halten wir es in Anlehnung an das Thema der
diesjährigen Sommer-LMV für angebracht, uns in diesem Antrag zu dem Gebiet
Climate Engineering zu positionieren.
Zunächst einmal eine kurze Einführung in die Thematik.
Climate Engineering-Maßnahmen lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen
unterteilen: Die eine Gruppe umfasst Techniken, die den Strahlungshaushalt
beeinflussen, "Solar Radiation Management" (SRM) genannt. Die andere Gruppe
umfasst Techniken, die den CO2-Gehalt der Atmosphäre dauerhaft verringern
sollen, bekannt unter "Carbon Dioxide Removal" (CDR).
Eine SRM-Maßnahme ist beispielsweise die Ausbringung von Schwefelpartikeln in
die Erdatmosphäre. Von ihnen soll ein Großteil der Sonneneinstrahlung
reflektiert werden, die verbleibende Strahlung heizt dann die Erde weniger auf.
Nebenwirkungen wie z.B. das Ausbleiben von Regen sind nicht auszuschließen.
Daraus wiederum resultieren gravierende Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt,
wie auch für die menschliche Zivilisation: Denn ohne Regen gibt es keine
Nahrung, und ohne Nahrung kein Leben.
Eine CDR-Maßnahme ist zum Beispiel die technische Filterung von CO2 aus der
Luft. Das CO2 wird anschließend beispielsweise in Gesteinsschichten gepresst. Es
ist nicht gesichert, dass es danach nicht wieder in die Atmosphäre entweicht.
Außerdem wird die großflächige Düngung der Ozeane mit Eisenverbindungen
diskutiert, um das Algenwachstum anzuregen und so die CO2-Konzentration auf
biologischem Weg zu senken. Während die Wirksamkeit dieser Methode aus Basis der
Ergebnisse verschiedener Experimente ebenfalls anzuzweifeln ist, sind negative
Auswirkungen auch hier sehr wahrscheinlich: Das marine Ökosystem könnte durch
Ozeandüngung zusammenbrechen oder zumindest massiv aus dem Gleichgewicht
gebracht werden, womit die Lebensgrundlage einer Vielzahl von Arten gefährdet
würde. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass durch die Düngung die CO2
Produktion in bestimmten Sedimenten des Ozeans sogar angekurbelt wird, was den
Effekt der Maßnahme wiederum zunichte machen würde.
An diesen Beispielen wird deutlich, dass viele Maßnahmen des Climate Engineering
nicht nur hinsichtlich ihrer Effektivität fraglich sind, sondern auch eine
massive Bedrohung für die Lebensräume vieler Arten darstellen – uns Menschen
eingeschlossen.
Für alle Techniken gilt gleichermaßen: Climate Engineering setzt nicht an den
eigentlichen Ursachen der Klimakrise an, nämlich am überhöhten Ausstoß von
Treibhausgasen, sondern bekämpft vielmehr deren Symptome. Auf lange Sicht löst
Climate Engineering also das eigentliche Problem nicht.
Deshalb fordern wir, die Grüne Jugend NRW, hinsichtlich der Forschung an Climate
Engineering-Maßnahmen Folgendes:
Zunächst soll der Schwerpunkt der Klimaforschung und -politik weiterhin auf
Strategien zur Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen liegen, wie auch auf der
Weiterentwicklung von erneuerbaren Energien und zugehörigen
Speichertechnologien. Climate Engineering sollte eine nachgeordnete Priorität
besitzen.
Ferner fordern wir, Forschungsaktivitäten zu Climate Engineering einer Instanz
zu unterstellen, die mit einer Ethikkommission bei Tierversuchen vergleichbar
ist. Dies halten wir aus folgenden Gründen für angebracht:
Erstens können bereits kleinere Versuche zu Climate Engineering Auswirkungen auf
Klima- und Ökosysteme haben. Deshalb muss sich derlei Forschung am
Vorsorgeprinzip orientieren. Dieses gehört zu den Grundpfeilern der
Umweltpolitik und verlangt, dass bei unzureichendem Wissen über Art, Ausmaß und
Eintrittswahrscheinlichkeit von Umweltschäden mit Voraussicht gehandelt werden
muss, um Schäden von vornherein zu vermeiden.
Zweitens birgt Forschung in diesem Bereich die Gefahr des "Dual Use". Forschung,
die für zivile Zwecke gedacht ist, also beispielsweise die Menschheit vor der
Klimakatastrophe zu bewahren, könnte gleichzeitig auch für militärische Zwecke
genutzt werden. Sollte die Forschung an Climate Engineering beispielweise so
weit voranschreiten, dass damit tatsächlich das Klima beeinflusst werden kann,
könnte dies auch als Waffe gegen andere Staaten genutzt werden. Allein die
Tatsache, dass ein bestimmter Staat zu Climate Engineering forscht, könnte
Misstrauen zwischen Staaten säen. Das Kriegs und Konfliktpotential zwischen
Staaten würde erheblich ansteigen, falls es zu nationalen Alleingängen in der
Forschung oder Anwendung von Climate Engineering kommen sollte.
Drittens lassen sich die Auswirkungen von Climate Engineering meist nicht nur
auf den globalen Norden begrenzen, wo jedoch hauptsächlich Forschung in diesem
Bereich erfolgt. Gleichzeitig werden jedoch gerade die Menschen im globalen
Süden die Auswirkungen zu spüren bekommen – die Menschen, die auch jetzt schon
unverschuldet am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Sie sind es auch, die
durch eine mögliche Weiterentwicklung von Climate Engineering zwischen die
Fronten geraten können, zumal die Auswirkungen von bestimmten Maßnahmen dieser
Art vor Staatsgrenzen keinen Halt macht.
Dies führt direkt zu unserer dritten Forderung: Die Länder, die bisher am
meisten unter der anhaltenden Klimakrise leiden, sollen in der Debatte um die
Vertretbarkeit der Forschung und Durchführung von Climate-Engineering-Maßnahmen
federführend sein.
Schließlich fordern wir größte Transparenz bezüglich der Finanzierung von
Forschung an Climate-Engineering-Maßnahmen. Vor allem aber darf Forschung in
diesem Bereich nicht von kommerziellen Interessen geleitet sein. Diese Forderung
halten wir vor allem im Hinblick darauf für angebracht, was das "Center for
International Environmental Law", eine US-Amerikanische NGO, Zusammenarbeit mit
der Heinrich-Böll-Stiftung herausgefunden hat: Insbesondere Klimaskeptiker und
Befürworter fossiler Energieträger setzen sich maßgeblich für die Forschung an
Climate Engineering ein. Ferner nutzen sie die Möglichkeit der Anwendung solcher
Maßnahmen als Argument für das Festhalten an fossiler Energie. So sei auch die
Entwicklung von Maßnahmen, mit denen CO2 aus der Luft gefiltert und gespeichert
werden soll ("Carbon Capture and Storage", CCS), in erster Linie von
kommerziellen Interessen geleitet worden, also zugunsten der Betreiber fossiler
Energieträger, anstatt vom Ziel des Klimaschutzes getragen worden zu sein.
Da es in einigen Ländern wie den USA und Großbritannien bereits ernsthafte
Bestrebungen gibt, Ideen zu Climate Engineering in die Praxis umzusetzen, halten
wir es für angebracht, uns auch zur Anwendung von Climate Engineering-Maßnahmen
zu positionieren:
Wir fordern, von jeglicher Anwendung solcher Maßnahmen abzusehen.
Erstens liegt dem Konzept Climate Engineering die anmaßende Haltung zugrunde,
Menschen könnten Klima- und Umweltprozesse auf globaler Ebene kontrollieren.
Zwar haben Menschen seit Anbeginn ihren Lebensraum genutzt und gestaltet, jedoch
niemals in einem Maßstab, der mit Climate Engineering vergleichbar wäre. Die
Annahme, dass Menschen dazu in der Lage sind, derart in Umweltprozesse
einzugreifen, wie auch die Folgen eines solch massiven Eingriffs kontrollieren
können, halten wir für naiv. Zudem sehen wir die Gefahr, dass das bereits
erwähnte Artensterben bei der Anwendung von Climate Engineering bewusst in Kauf
genommen wird, um die Durchschnittstemperatur um jeden Preis zu senken. Eine
solche Haltung darf aus unserer Sicht niemals die Grundlage für den Kampf gegen
die Erderwärmung sein.
Zweitens sehen auch wir – und damit schließen wir uns dem Bundesamt für Umwelt
an – die Gefahr eines Paradigmenwechsel in der Klimaschutzpolitik: Durch Climate
Engineering wird die bisherige Ansicht, dass der Ausstoß von Treibhausgasen
unbedingt gesenkt werden muss, infrage stellt. Denn trotz des unzureichenden
Wissensstandes über die Folgen und Risiken von Climate Engineering bietet es aus
Sicht der Politik durchaus attraktive Aspekte: Climate Engineering fordert von
der Gesellschaft – im Gegensatz zu anderen Klimaschutzmaßnahmen – keine oder nur
geringe Verhaltensänderungen zur Reduzierung von CO2-Emissionen, stattdessen
wird eine technische Lösung der Klimakrise versprochen.
Drittens fordern wir, dass der Fokus der Politik auf der verbindlichen
Einhaltung der 1,5- Grad-Grenze liegt und nicht auf Technologien, wie Climate-
Engineering-Maßnahmen, die auf der Ansicht beruhen, dass diese Grenze ohnehin
überschritten werden wird. Schließlich kam der Weltklimarat in seinem
Sonderbericht im Oktober vergangenen Jahres zu dem Schluss, dass die Einhaltung
der 1,5 Grad-Grenze durchaus noch möglich ist.
Ferner verurteilen wir den Begriff "Ultima ratio" (letztes Mittel) im
Zusammenhang mit Climate Engineering-Maßnahmen. Dieser Ausdruck suggeriert, dass
solche Technologien derart ausgereift wären, dass sie tatsächlich im Falle des
Scheiterns aller anderer Klimaschutzmaßnahmen eingesetzt werden können. Da dies
nicht der Fall ist, wirkt die Verwendung des Begriffes irreführend und
manipulierend.
Genauso verurteilen wir die Ansicht, mit der Option des Climate Engineering
ließe sich ein Festklammern an fossilen Energieträgern rechtfertigen.
Auch aus wissenschaftlicher Sicht gibt es einige Aspekte, die gegen die
Anwendung von Climate Engineering sprechen:
Erstens sind die Risiken und Folgen von Climate Engineering nach bisherigem
Forschungsstand in keiner Weise realistisch abschätzbar und werden als
verheerend angesehen. Beispiele für unerwünschte Nebenwirkungen sind bereits in
vorigen Absätzen erörtert worden.
Zweitens lässt die Methode der CO2-Speicherung (CCS) die Fehlannahme zu, dass
nach den Plänen zur 1,5-Grad-Grenze überzählige Emissionen danach wieder
"zurückgeholt" werden können. Diese Rechnung geht jedoch gesamtheitlich
betrachtet nicht auf, da diese Emissionen in der Zwischenzeit, bis sie
abgefangen werden, zu einem Temperaturanstieg führen können, der die
Kippelemente des Klimas aktiviert. Eine unaufhaltsame Aufwärtsspirale der
Erderwärmung is die Folge.
Schließlich ist aus unserer Sicht die erschreckendste Warnung von Forscher*innen
zu Climate-Engineering-Technologien die des sogenannten "termination shock":
Sollte Climate Engineering wirklich einmal zur Anwendung kommen, ergäbe sich ein
katastrophales Dilemma: Einmal begonnen, wäre das Einstellen solcher Maßnahmen
selbst im Falle des Eintretens von negativen Nebenwirkungen nur schwer zu
vertreten. Denn sollten sich durch Climate-Engineering tatsächlich die CO2
Konzentration und die Durchschnittstemperatur verringern lassen, würde eine
Beeendigung der Maßnahmen zu einem schlagartigen Temperaturanstieg führen,
dessen Folgen in keinem Verhältnis zu der derzeit schon alarmierenden Klimakrise
steht.
Im Sinne des Artenschutzes sagen wir deshalb: Kein Climate Engineering mit uns!
Begründung
Erfolgt mündlich.
Änderungsanträge
- V10-397 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-424 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-479 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-481 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-496 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-503 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-513 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-522 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-522-2 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-539 (Frodewin Brumshagen, Eingereicht)
- V10-708 (Sarah Heinrich, Eingereicht)
- V10-711 (Sarah Heinrich, Eingereicht)
Kommentare
Christoph Hölscher:
Forschung an diesen Themen reduziert außerdem auch die potenziellen Risiken beim Einsatz der Maßnahmen.
Während ich es gut finde CE kritisch gegenüber zu stehen, sollten wir sorgsam und ergebnissoffen mit dem Thema umgehen. Dabei sollte jede einzelne Maßnahme betrachtet werden und nicht ein so großes und komplexes Thema als "böse" abgestempelt werden. Dazu hat das Thema einfach ein zu großes Potential.