Veranstaltung: | Sommer-Landesmitgliederversammlung 2018 der GRÜNEN JUGEND NRW |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | Mitgliederversammlung (dort beschlossen am: 15.07.2018) |
Status: | Angenommen |
Beschlossen am: | 15.07.2018 |
Eingereicht: | 10.08.2018, 09:19 |
Antragshistorie: | Version 1 |
V3-Beschluss: Ein Gesamtkonzept für gesunde Ernährung braucht eine Zucker- und Süßungsmittelsteuer
Antragstext
Den Forderungen von mehr als 2.000 Ärzt*innen und deren breiten Bündnis aus 15
Ärzt*innenverbänden, Fachorganisationen und Krankenkassen entsprechend ist es
nach Meinung der Grünen Jugend NRW ebenso wichtig Beschränkungen und Richtlinien
für an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung und deren gezielten und zum Teil
unterschwelligen Botschaften zu setzen.
Ergänzt werden soll dies mit verbindlichen Mindeststandards für die öffentliche
Beschaffung von gesunder, zuckerarmer Schul- und Kitaverpflegung. Zahlen, wie in
den USA, dass bei bestimmten Sendungen oder Serien 60 Prozent der Werbung für
ernährungstechnisch bedenkliche Lebensmittel genutzt werden, müssen in
Deutschland im Fernsehen wie im Internet verhindert werden. Ein positives Image
soll bei jungen Leuten nur dann kreiert werden dürfen, wenn es das Produkt aus
gesundheitlicher Sicht auch verdient. Alternativ könnte dies durch eine
zusätzliche Steuerregulierung erschwert werden.
Auf Seiten der Ernährungspsychologe setzt sich die Grüne Jugend NRW dafür ein
mehr zu lehren, zu erklären, unbewusste Prozesse bewusst zu machen und zu
verdeutlichen, wie emotionales Essen funktioniert und die Psychologie hinter
unserem Essverhalten tiefgreifender zu beleuchten. Dazu gehört auch, dass Eltern
durch gemeinsame Mahlzeiten und ihr Einkaufsverhalten das Gesundheits-und
Ernährungsbewusstsein ihrer Kinder wesentlich prägen. Daher fordert die Grüne
Jugend NRW nicht nur eine gezieltere Aufklärung und Weiterbildung für Kinder und
Jugendliche in der Schule, sondern auch Informationsangebote und -kampagnen für
Eltern. Die Grüne Jugend NRW schließt sich in diesem Kontext der Forderung aus
der KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts an, welche die Bekämpfung sozial
ungleich verteilter Gesundheitschancen in den Vordergrund stellt.
Die Grüne Jugend NRW kritisiert des Weiteren die zu wenig wahrgenommene
Hersteller*innenverantwortung der Wirtschaft und vertraut nicht weiter auf deren
Eigeninitiative. Damit stellt sie sich gegen den marktliberalen Gedanken,
welcher das Prinzip der Konsument*innensouveränität zwar zu Recht in den
Vordergrund stellt, aber gleichzeitig die Unternehmen missinterpretierend aus
der Pflicht nimmt. Dabei geht es nicht darum den Konsument*innen vorzuschreiben,
was sie zu essen haben, sondern sie vor versteckten Fallen und
unverantwortlichem Verkaufsinteresse der Großkonzerne zu schützen.
Im jüngsten Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene steht, dass
eine „Nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz in
Fertigprodukten“ gemeinsam mit den Beteiligten konzeptualisiert werden soll und
dieses „mit wissenschaftlich fundierten, verbindlichen Zielmarken und einem
konkreten Zeitplan versehen“ werden soll. Allerdings spricht
Verbraucher*innenministerin Julia Klöckner, welche dazu vor allem
Vertreter*innen der Lebensmittelhersteller*innen der Zucker- und Fettbranchen
eingeladen hat, von einem Dialog mit den Akteur*innen. Das Ergebnis von Ende
April 2018 fiel dann auch weitaus enttäuschender aus als zunächst anzunehmen
war. Die CDU-Ministerin setzte sich allein für eine Verstärkung der
Ernährungsbildung, einer Sensibilisierung der Bürger*innen und Verbraucher*innen
und einer nachvollziehbaren Kennzeichnungen ein, ohne dabei konkreter zu werden.
Hauptaussage ihrer politischen Botschaft war, dass sie sich „gegen die
Diskriminierung einzelner Zutaten“ stelle. Diese rückwärtsgewandte und
Verbraucher*innenschädigende Haltung verurteilt die Grüne Jugend NRW scharf.
Supermarktketten machen bis zu 10 Prozent ihres Umsatzes mit Süßwaren. Sie
dürfen nicht mit dem selbstformulierten Versprechen davonkommen Pilotprodukte
sukzessive ins Sortiment aufzunehmen oder ihr Eigenmarkensortiment bis 2020 auf
den Zuckergehalt überprüfen zu wollen.Ausreden wie jene des Spitzenverbands der
Lebensmittelwirtschaft, dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde,
dass Zuckerarten, Fette und Salze nicht nur Geschmacksträger sind, sondern auch
eine Reihe von technologischen Eigenschaften, wie der Haltbarkeit und der
Beschaffenheit von Lebensmitteln mit sich bringen und bestehende Rezepturen so
überarbeiten werden müssten, dass sie noch schmecken, nimmt die Grüne Jugend NRW
nicht mehr hin. Sie verweist darauf, dass Zucker eher reichlich hinzugefügt
wird, um deren Fülle zu nutzen und hochwertigere und weniger kostengünstige
Zutaten zu vermeiden.
Gleichzeitig sieht die Grüne Jugend NRW die Gefahr, dass für viele
Verbraucher*innen, trotz bestehender Nährwerttabelle, schwer zu erkennen ist wie
viel Zucker tatsächlich in einem Produkt steckt, weil dort nur herkömmlicher
Haushalts-Zucker deklariert werden muss und andere Süßungsmittel nicht. Meist
werden Konzentrate oder Fruchtsaftkonzentrate eingesetzt, die zu einem hohen
Zuckergehalt führen können, aber nicht als üblicher Zuckerzusatz gelten. Diese
werden zwar in der Zutatenliste angegeben, meist versteckten sie sich jedoch
hinter anderen Namen und chemischen Begriffen, welche sich insgesamt in über 70
verschiedene Namen und Stoffe aufteilen. Beispiele sind Dextrose, Polydextrose,
Maltodextrin, Maltit Cyclamat, Glukose-Sirup, Traubensüße, Gerstenmalzextrakt,
Invertzuckersirup oder Süßungsmittel wie Xylit, Acesulfam oder Aspartam. Gerade
Süßungsmittel und kalorienfreie Süßstoffe wie Acesulfam und Aspartam machen
allerdings nicht zwingend schlank und können sogar Studien zufolge schädlich
sein, weil sie den Stoffwechsel und die Auskleidung der Blutgefäße ungünstig
verändern können. Dabei ist anzumerken, dass insbesondere bei Sucralose, Stevia
und Saccharin noch keine fundierten Kenntnisse existieren und es dringend
wissenschaftlicher Felduntersuchungen dazu bedarf. Die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung (DGE) rät daher auch „statt Zucker durch Süßstoffe zu ersetzen
grundsätzlich auf ‚weniger süß‘ umzustellen“.
Die Grüne Jugend NRW fordert daher die Erweiterung der Nährwerttabelle mit einer
differenzierten Ampelkennzeichnung für Zucker, Fett und Salz, wie sie von
Verbraucherschützer*innen seit Jahren gefordert wird und damit eine
obligatorische Produktkennzeichnung mit einer verständlichen und vergleichbaren
Lebensmittelkennzeichnung. Dabei soll das dreigliedrige Ampelfarben-Schema von
„grün, gelb und rot“ mit dunkelgrün und orange erweitert werden, um deutlichere
Abstufungen vornehmen zu können und Zuckerbomben mit einem Blick eindeutig
identifizieren zu können.
Der visuelle Anreiz für Verbraucher*innen soll nach Meinung der Grünen Jugend
NRW dabei mit einem finanziellen Anreiz für die Hersteller*innen kombiniert
werden. Dem Wunsch der Mehrheit von 53 Prozent der Menschen in Deutschland
folgend, wie eine Umfrage von YouGov im Auftrag von foodwatch im Mai 2018 ergab,
setzt sich die Grüne Jugend NRW für eine Steuer auf überzuckerte Getränke ein.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfahl zum Welt-Adipositas-Tag bereits eine
solche Steuer von mindestens 20 Prozent. Vorstellbar wäre also etwa eine Steuer
von 20 Cent pro Liter für alle Getränke die mehr als fünf Gramm Zucker je 100
Milliliter enthalten.
Als Vorbild sieht die Grüne Jugend NRW Länder wie Berkeley (USA), Dänemark,
Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Mexiko und Ungarn wo bereits
Sondersteuern oder -abgaben auf Süßgetränke und Soft-Drinks oder bestimmte
Lebensmittelgruppen wie Schokolade, Zuckerwaren und Speiseeis oder besonders
kalorienreiche Produkte, wie z.B. sogenannte Junkfood-Produkte, existieren.
Diese Hersteller*innenabgaben können dann zweckgebunden in Präventionsprojekte
oder im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung eingesetzt werden. Dazu
gehört vor allem, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA),
wie es bereits im Präventionsgesetz vorgesehen ist, mit mehr Mitteln
ausgestattet wird.
Die Tatsache, dass über fünf Millionen Menschen in der Lebensmittel- und
Zuckerbranche arbeiten, erfordert ein Gesamtkonzept, welches alle in die
Verantwortung nimmt, die bisherigen vereinzelten Maßnahmen wie in der
Adipositas-Prävention oder der Sportförderung zusammenführt, und allen gerecht
wird. Die Grüne Jugend NRW fordert in diesem Zuge auch eine höhere Bereitschaft
der Krankenkassen bei der Kostenübernahme für chirurgische Eingriffe bei
Adipositas-Patient*innen. Magenverkleinerungen sind für die breite Bevölkerung
viel zu teuer und viele Medikamente gegen Adipositas benötigen ein immenses Maß
an weitergehender Forschung.
Langfristig muss es darum gehen, dass Konsument*innen weniger Süßes nachfragen,
wie es das ife, Institut für Ernährungswirtschaft, empfiehlt. Wobei
Zuckerreduktion dazu führen kann, dass mehr gegessen wird und damit mehr
Kalorien als vorher aufgenommen wird. Es muss deutlich sein, dass
zuckerreduziert nicht unbedingt kalorienreduziert bedeutet. Für ein gelingendes
Gesamtkonzept gilt es daher auch gesundheitsrelevante Verhaltensweisen abhängig
von strukturellen Bedingungen und Umweltfaktoren zu begreifen und Ansätze zu
finden, welche auch die Beschaffenheit der Wohnumgebung, der
Einzelhandelskonstellation vor Ort, Grünflächen, Spielplätze, Sportangebote, und
Verkehr sowie Sicherheit in Betracht ziehen. Existierende Zucker-Alternativen
müssen unterstützt, ausgebaut und gefördert werden und die Tatsache, dass
Fertigprodukte im Vergleich zu Rohwaren oft teurer sind, genutzt werden, um
frische Lebensmittel und eigenes Kochen zu bewerben. Gleichzeitig müssen gesunde
und nachhaltig produzierte Lebensmittel weiter gefördert werden und auch
finanziell für jeden Mitmenschen in einem ausreichenden Maße erschwinglich sein.
Bei der Betrachtung der bisherigen Folgen in den anderen Ländern fällt auf, dass
einige Hersteller*innen den Zuckergehalt, beispielsweise bei Softdrinks, auf
knapp unter den Grenzwert gesenkt und den Rest durch diverse Süßstoffe ersetzt
haben. Laut einer Studie des britischen Gesundheitsministeriums ist der
Zuckeranteil in Softdrinks zwar um zwölf Prozent zurückgegangen, aber in einem
vergleichbaren Verhältnis der Anteil an Ersatzstoffen gestiegen. Ebenfalls ist
festzuhalten, dass die Absatzzahlen von Süßgetränken und -essen nach Einführung
der Steuern beispielsweise in Berkeley, Mexiko und Ungarn bereits gesunken sind.
In Berkeley oder auch Mexiko nahm parallel der Konsum von Wasser zu. Die Grüne
Jugend NRW fordert in diesem Zusammenhang neben der Einführung einer Steuer auf
Zucker auch eine vergleichbare Steuer auf alle Süßungsmittel, um substituierende
Effekte zu vermeiden.
Begründung
Begründung:
Zuckerhaltige Speisen und Getränke befördern nachweislich Übergewicht, Typ-2-Diabetes und Zahnkrankheiten wie Karies und andere chronischen Krankheiten. Nach verschiedenen Angaben machen sie schlaff, antriebslos, müde, depressiv und werden mit einem erhöhten Risiko für Herz- und Herz-Kreislauferkrankungen, Hypertonie, Rücken- und Gelenkproblemen, Gicht, Stoffwechselkrankheiten, Diabetes oder einer Fettleber in Verbindung gebracht. Ebenso wird als eine der Folgen der Auswirkungen auch soziale Isolierung immer wieder angeführt. Für die Ernährung sind sie bedenklich, weil sie quasi nur Kalorien und keine Nährstoffe enthalten. Sie sättigen also nicht und können den ganzen Tag verzehrt werden. Dabei lässt sich die Problematik eines übermäßigen Konsums nur schwer vermeiden weil Zucker in fast allen verarbeiteten Lebensmitteln steckt. Die Debatte um eine klarere Kennzeichnung existiert bereits einige Jahrzehnte doch führte sie noch zu keinen gesetzgeberischen Ergebnissen und die Selbstverpflichtung von Herstellern und Supermarktketten sorgte nur begrenzt für eine Reduktion der Verwendung in den Lebensmittelprodukten.
Übermäßiger Zuckerkonsum führt schon bei 14-Jährigen dazu, dass bleibende Zähne gezogen werden müssen und dauerhafte Zahnimplantate benötigt werden. Ein weiteres Beispiel sind die derzeit 6,7 Millionen Menschen in Deutschland mit Diabetes, der sogenannten Zuckerkrankheit. Deren aktuelle Menge entspricht einer Steigerung um etwa 38 Prozent seit Beginn des Jahrtausends. Dazu erklärte die Deutsche Diabeteshilfe in ihrem Jahresbericht 2017, dass pro Jahr etwa 40.000 Beine, Füße oder Zehen amputiert werden, etwa 2000 Menschen wegen Diabetes erblinden oder ein schweres Nierenleiden besitzen, welches nur mit einer Dialyse, also mit einer künstlichen Blutwäsche, gelindert werden kann.
Bereits 2010 befasste sich das Europäische Parlament mit einem verbraucherfreundlichen und verbindlichen Ampel-Kennzeichnungssystem für Lebensmittel, um Zutaten und deren Anteil erkennen zu können und 2014 brachte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages einen ersten Bericht heraus, der sich mit dem Thema Lebensmittelsteuer beschäftigte. Beide Initiativen konnten sich bisher jedoch nicht gegen die Interessen der Wirtschaft durchsetzen und führten nicht zu neuen gesetzlichen Vorgaben.
Dabei sind die Zahlen zunehmend besorgniserregend. Nach aktuellen Zahlen konsumieren wir 34-35kg Zucker pro Jahr bei einer ungefähren Tagesdosis von 100 Gramm. 1985 waren es noch 17kg und 2008 schon etwa 25kg. Der heutige Konsum entspricht einer Jahresmenge von circa 11.536 Zuckerwürfeln, welche gestapelt 126 Meter ergeben und damit einen Zuckerturm bilden, welcher fast so hoch ist wie der Kölner Dom. Daneben rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zu einem Tageskonsum von maximal 50 Gramm Zucker pro Tag und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt sogar gerade mal die Hälfte. Allerdings ist die Grenze der WHO mit einem Glas Coca-Cola (250ml) mit ihren 26 Gramm Zucker, welche etwa neun Stück Würfelzucker entsprechen, schon überschritten. Zuckerhaltige Getränke machen beim gleichen Konzern 64,8 Prozent des Absatzvolumens aus. Mit 3585 Millionen Litern pro Jahr, verkauft der Marktführer fast das Dreifache des Branchenzweiten "Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke" (1350 Liter).
Dies führt, neben andersgelagerter Fehlernährung und zu geringer sportlicher Betätigung, dazu, dass fast jedes sechste Kind in Deutschland, etwa 15 Prozent, übergewichtig ist. Während die Zahl der übergewichtigen Kinder seit den 1990er-Jahren um 50 Prozent zugenommen hat, hat sich die Zahl der krankhaft fettleibigen Kinder sogar verdoppelt. Im letzten Jahrzehnt sind diese Zahlen nicht weiter angestiegen, haben sich jedoch auf dem hohen Niveau stabilisiert. Nach Angaben der Aktion "Ärzte gegen Fehlernährung" sind bei den Erwachsenen in Deutschland heute rund zwei Drittel aller Männer (67 Prozent) und mehr als die Hälfte der Frauen (53 Prozent) übergewichtig sowie 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen adipös. Das führt dazu, dass nach Zahlen des Robert Koch-Instituts das Problem Übergewicht, Fachbegriff Adipositas, jährlich Kosten von rund 63 Milliarden Euro erzeugt. Damit können Adipositas nicht mehr als individuelles Problem beschrieben werden und müssen als ein gesellschaftliches Kernanliegen verstanden werden, deren negativen Auswirkungen bekämpft werden müssen. Einer "adipogenen Umwelt", wie sie DAG-Präsident Professor Martin Wabitsch beschreibt, muss sich entschieden entgegen gestellt werden.
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