Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Frühjahr 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | 8 Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | Lena Cornelissen, Koi Katha Blaeser, Janis Bonn, René Adiyaman, Elena Balke, Henry Soltau, Louisa Albrecht, Jonas Ulbrich |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 25.03.2022, 21:00 |
V4: Mehr Barrierefreiheit
Antragstext
Wir verwenden in dem Antrag "(/rw)", um Redewendungen zu kennzeichnen.
Die GRÜNE JUGEND NRW setzt folgende Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit um:
Folgende Maßnahmen sind kostenfrei oder günstig:
» Bei jeder Kommunikation, Social Media und Veranstaltungen:
- einfache Sprache verwenden
- keine Abkürzungen verwenden
- Anglizismen (also aus dem Englischen entnommene Wörter) vermeiden
- auf Dauer-Großschreibung oder -Fettschreibung verzichten
- alles andere ist für Menschen, die Screenreader*innen nutzen, nicht
zugänglich
» Bei Veranstaltungen:
- Schriftdolmetschung als Standard
- Durch professionelle Dolmetscher*innen oder in diesem Fall alternativ
durch mehrere der anwesenden Personen, die sich abwechseln und möglichst
zeitgleich das Gesagte auf einem allen zugänglichen Pad mitschreiben.
- Redner*innen reichen nach Möglichkeit zu Beginn der jeweiligen
Veranstaltung ihren Beitrag schriftlich ein. Es wäre sehr praktisch, wenn
schriftliche Begründungen mit geliefert würden.
- Bei längeren Sitzungen (die sich nicht kürzen lassen) ausreichend
Pauseneinplanen und einhalten.
- Hierbei gilt als Richtwert: etwa alle 45 Minuten eine kurze Pause (von ca.
5 Minuten) einlegen. Darauf ist bei Präsenz, hybrid und online
Veranstaltungen zu achten.
- Zu Beginn jeder Veranstaltung wird darauf hingewiesen, dass es okay ist,
wenn Leute zwischendurch z.B. drei Schritte gehen (/rw) oder rausgehen
oder nicht mit ganzer Konzentration dabei sind.
» Das ist z.B. für Menschen mit Restless Leg Syndrom, ADHS oder anderen
Konzentrationsproblemen wichtig.
- Ein mündliches & schriftliches Fazit am Ende von Workshops, Vorträgen und
Diskussionsrunden oder im Nachgang
- Möglichst ruhiger Hintergrund und möglichst wenig Nebengeräusche
» Dies ist bei Hörbehinderung und auch bei chronischer
Migräne/Kopfschmerzen förderlich.
- Zeitgrenzen setzen (Veranstaltung spätestens vorbei bis...) und einhalten
» Dies ist u.a. für neurodivergente Personen sowie Personen, die auf
Assistenz angewiesen sind, relevant.
- Bei virtuellen Treffen soll das Mundbild gut sichtbar sein
» Die Möglichkeit für hörbehinderte und Taube Personen, Lippen zu lesen,
bedeutet nicht Barrierefreiheit für diese Gruppen. Es ist dennoch eine
gute Möglichkeit, ohne viel Geld vielen Personen dieser Gruppen bessere
Teilhabe zu ermöglichen.
- Alle visuell dargebotenen Informationen (Präsentation, Anträge usw.) schon
im Vorhinein zur Verfügung stellen oder zumindest während der
Veranstaltung akustisch darbieten
» Hilft z. B. Menschen mit geringer Konzentrationsspanne und
sehbehinderten Menschen
- Auf Dauer-Fettschreibung oder Dauer-Großschreibung ist zu verzichten.
» Alles andere ist für Personen, die Screenreader*innen nutzen, nicht
zugänglich.
- Veranstaltungen in Präsenz zugänglich machen
- Bildungsangebote, Workshops und Landesmitgliederversammlungen hybrid
anbieten. Eine Teilnahme muss sowohl in Präsenz als auch digital möglich
sein.
» Wir fordern eine konsequente Durchsetzung des Beschlusses der Sommer
Landesmitgliederversammlung 2021, wo dies bereits für
Landesmitgliederversammlungen beschlossen wurde.
» Bei Social Media
- sämtliche Bilder auf Instagram, Facebook, Twitter, Telegram und in Mails
mit Bildbeschreibungen versehen
- dabei sind die Bildbeschreibungen so zu gestalten, dass sehbehinderte und
blinde Personen alle relevanten Informationen daraus ziehen können
- alle Videos haben Untertitel
- möglichst einfache Sprache verwenden, Abkürzungen erklären
- Triggerwarnungen und Inhaltshinweise setzen
Folgende Maßnahmen sind mit höheren Kosten verbunden:
» Finanzierung und Organisation von Dolmetschung in Leichte Sprache und Deutsche
Gebärdensprache
» In Präsenz stattfindende Mitgliederversammlungen barrierefrei gestalten:
- Schlafmöglichkeiten für z.B. gehbehinderte oder neurodivergente Menschen.
Das heißt: ohne Aufpreis und in angemessener Anzahl Personen Zugang zu
wirklich rollstuhlgerechten Betten und Zimmern geben.
- Jugendherbergen sind oft für bestimmte Menschen nicht ausreichend
barrierefrei. Bei Menschen, die nicht in Jugendherbergen oder Turnhallen
schlafen können, übernimmt die Grüne Jugend Hotelkosten zumindest zu 50%.
Bei Personen, die die anderen 50% nicht tragen können, müssen die vollen
Kosten von Landesverband übernommen werden.
- Akustik, die hörbehinderten und Tauben Menschen Teilhabe ermöglicht (z.B.
gute Isolierung, Ausstattung mit ausreichenden und gut funktionierenden
Mikrofonen)
- Deutlich mehr Rückzugsmöglichkeiten z.B. für neurodivergente Personen
- Stellvertretende Abstimmung ermöglichen: ein*e Wahlhelfer*in (ggf mit
eidesstattlicher Erklärung) stimmt für eine andere Person ab, mit der
der*die Wahlhelfer*in währenddessen in Kontakt ist. Dieser Kontakt kann
telefonisch, per Mail / Messenger sein. Oder die Person ist in Präsenz
anwesend.
- » Das ermöglicht schon heute die Abstimmung von blinden Personen. Wir
fordern, dass diese Möglichkeit z.B. auch Personen, die nicht in Präsenz
teilnehmen können, zur Verfügung steht.
- Eine verkürzte Teilnahme vereinfachen: Personen den Raum zum Networking &
Co geben, ohne die ganze Zeit anwesend zu sein.
- Hierbei wäre eine detaillierte Beschreibung der Workshops und Treffen
sinnvoll. Menschen können damit entscheiden, an welchen sie teilnehmen
wollen. Außerdem sind genaue Protokolle anzufertigen. Diese werden allen
Mitgliedern über die Grüne Wolke zur Verfügung gestellt. Zudem sollte ein
Link zu dem Protokoll per Mail allen zugeschickt werden.
- Entlastende Optionen wie die Möglichkeit bei der Essensausgabe schneller
dranzukommen und ruhige Bereiche zum Essen
» auch das wäre u.a. für neurodivergente Personen sehr entlastend
- Behinderte, chronisch und oder psychisch kranke Menschen sind in die
Planung miteinzubeziehen
"Neurodivergent" wird unterschiedlich definiert.
Unter alle Definitionen fallen Autist*innen, Menschen mit ADHS, Dyslexie (Lese-
Rechtschreib-Störung)
Bei manchen fallen auch Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen oder
hochbegabte & hochsensible Menschen
Neurodivergent sagt aus, dass das Denken und Fühlen von der gesellschaftlich als
"Norm" angesehenen Weise abweichen.
Begründung
Diese Rede zum Antrag für mehr Barrierefreiheit, für Menschenrechte hält heute keine Betroffene Person. An dieser Landesmitgliederversammlung nehmen nur sehr wenige von uns Teil. Der Grund? Fehlende Zugänglichkeit. Wir können zwar Anträge stellen, aber wir haben nicht die gleiche Chance, diese auch einzubringen.
Damit sich das ändert, fordern wir die obigen Maßnahmen für mehr Barrierefreiheit.
"NRW? Lass mal ändern!" - ist überall zu lesen. Wir wollen viel anpacken und ändern. Bedeutende Bereiche sind Bildung, Verkehr und Mieten. Alles wichtige Themen, keine Frage. Aber wieso es dabei belassen?
Die Grüne Jugend NRW sieht sich als linke offene Jugendorganisation, die stachelig für ein besseres NRW kämpft und sich auch stetig selbst reformiert.
Wir sind basisdemokratisch, wir stehen hinter BIPoC und FINTA* Personen und haben z.B. das wichtige FINTA* Statut.
Aber was ist mit den Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen, psychischen Erkrankungen? Was ist mit neurodivergenten Personen? Ja, es gibt uns in der GJ NRW. Manchmal seht ihr uns, aber immer nur Einzelne. Und das nicht, weil wir keine Zeit haben oder wenig aktiv sind. Nein, weil die Barrieren zu hoch und oft unüberwindbar sind.
BIPoC steht für Black (Schwarz), Indigenous (indigen) und People of Color. Also für Menschen, die von Rassismus betroffen sind.
FINTA* steht für Frauen, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen. Das Sternchen steht für weitere Menschen, die aufgrund ihres Geschlechtes Diskriminierung erfahren.
Posts des Landesverbandes, aber auch von Ortsgruppen und Bezirksverbänden sind heute zumeist nicht barrierefrei. Das fällt vielen von uns sicherlich nicht (direkt) auf.
Für Menschen mit Sehbehinderung ist es aber z.B. eine unüberwindbare Hürde. Es macht ein Mitwirken, ein Aktiv-Sein und Sich-Einbringen sehr schwer bis unmöglich. Eine Beschreibung à la "Sharepic mit Infos zum Workshop" ist keine Bildbeschreibung.
Diesem kurzen Satz fehlen wichtige Elemente. Stell dir vor, du kannst das Sharepic nicht sehen, was würdest du gerne darüber lesen wollen? Doch sicherlich, was zu sehen ist, wie das Design aussieht und was drauf steht. Eine Beschreibung sollte dies also beinhalten. Das gleiche gilt für Bildelemente auf der Grünen Jugend NRW Website.
Ebenso sind Untertitel bei allen Videos wichtig und müssen Standard werden. Damit wir andere Mitglieder und Menschen nicht unnötig triggern, müssen wir zudem Triggerwarnungen geben. Natürlich können nicht alle Bereiche, die potentiell Personen triggern, aufgezählt werden. Dennoch sind nicht vollständige Triggerwarnungen besser als gar keine.
Rücksicht sollte selbstverständlich werden. So tragen wir zu einem besseren Miteinander und einer inklusiveren Grünen Jugend NRW bei.
Wer kennt es nicht? Wir lesen die Texte und Anträge im Antragsgrün und wissen an der ein oder anderen Stelle nicht, was überhaupt gemeint ist. Es passiert oft, dass eigene Texte für andere schwer verständlich sind, da der Wissensstand unterschiedlich ist. Das betrifft nicht nur Menschen mit Behinderung, chronischen und oder psychischen Erkrankungen. Viele Mitglieder kennen einzelne Begriffe nicht oder verstehen ganze Passagen nicht.
Hier sehen wir auch, wie Ableismus und Klassismus verschränkt sind. So ist die recht akademische Sprache auch für viele Arbeiter*innenkinder schwer zu verstehen. Oder für Menschen, die noch nicht so lange in Deutschland leben.
Das ist ein Problem, dem wir leicht Rechnung tragen (/rw), indem wir einfache Sprache nutzen.
Einfache Sprache ist nicht das gleiche wie Leichte Sprache. Leichte Sprache hat eine eigene Grammatik und Regeln. Einfache Sprache bedeutet - einfach gesagt: Verständlich sprechen und schreiben. Fachbegriffe vermeiden und erklären. Nicht zu lange Sätze.
Ebenso wichtig sind eine konsequente Schriftdolmetschung und auch Dolmetschung in Deutsche Gebärdensprache. Das gilt nicht nur für Beschlüsse und Ordnungen, sondern auch für jedes noch so kleine Video. Bis heute fehlen oft grundlegende Maßnahmen wie Untertitel.
Wir müssen endlich für alle Menschen zugänglich werden - wie sonst wollen wir marginalisierte Gruppen nicht hintenüber fallen lassen?
Dazu gehört natürlich auch: Medien bereits vor Beginn von Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Das heißt z.B.: schriftliche Begründungen für Anträge einreichen.
Und dazu gehören auch hybride Veranstaltungen. Nur wenn wir alle Workshops, Landesmitgliederversammlungen und andere Veranstaltungen hybrid anbieten, nehmen wir auch all unsere Mitglieder mit. Seien es nun Menschen, für die die örtlichen Gegebenheiten nicht barrierefrei sind. Seien es Menschen, die z.B. nicht lang genug still sitzen können. Oder Menschen, für die so viele Menschen auf einmal einfach nicht zu händeln sind. Oder seien es Menschen, die keine Maske tragen können und für die diese Veranstaltungen ein großes Risiko sind. Die Grünen machen es in manchen Bereichen vor - lasst uns zeigen, dass wir das auch können. Lasst uns zeigen, dass wir das gut können und dass es eine Bereicherung für unseren gesamten Verband ist.
Auf einen Punkt möchten wir noch eingehen. Er betrifft auch die Landesmitgliederversammlungen:
Neben Dolmetschung und hybrider Durchführung braucht es auch Nachbesserungen vor Ort.
Bestimmte Menschen mit Behinderung sind heute von einer mehrtägigen Teilnahme faktisch ausgeschlossen. Zum Beispiel, weil sie die angebotenen Schlafmöglichkeiten nicht nutzen können. Es ist unfassbar schade, dass viele von uns keine Stimme bekommen - sei es, an Workshops teilzunehmen, Reden zu halten und abzustimmen. Ja, es sind in aller Regel (/rw) genug Leute da, damit Beschlussfähigkeit gegeben ist. Aber was ist das für ein Zeichen an unsere Mitglieder und potenzielle Neumitglieder, wenn wir uns darauf ausruhen?
Erklärung Beschlussfähigkeit: Damit Entscheidungen gültig sind, muss ein gewisser Anteil aller Mitglieder anwesend sein.
Denkt mal an eure Schule bzw. eure Schulzeit, wenn ihr schon fertig seid. Wir kennen ja alle die 45 Minuten Unterricht und dann 5 Minuten Pause. Ich glaube, wir wissen alle, dass selbst 45 Minuten oft laaaaaang sind.
Vielleicht habt ihr selber ADHS oder eben Mitschüler*innen mit ADHS. ADHS ist aber nur ein Beispiel. Leute mit dem Restless Leg Syndrom und manche Menschen mit Spastiken haben teils große Schwierigkeiten, für längere Zeit still zu sitzen und brauchen Bewegungspausen. Andere, wie Menschen mit sozialer Angst oder Autist*innen, brauchen Rückzugsmöglichkeiten für Erholungsphasen vom Zusammensein mit so vielen Menschen.
Und trotzdem - 45 Minuten und dann 5 Minuten Pause. Das klingt schon besser als die Längen vieler politischen Sitzungen und Treffen. Für die genannten Personengruppen sind Pausen besonders wichtig.
Natürlich, Sitzungen können dann noch länger dauern - das will von uns auch keine*r. Und trotzdem - wir nehmen uns Zeit für Vieles. Das sollte auch für Barrierefreiheit gelten.
Gleichzeitig ist es super wichtig, zu überlegen, an welcher Stelle Treffen verkürzt werden können.
Ja, es ist für Redner*innen ungewohnt, wenn die Zuhörenden sich bewegen, aufstehen oder rausgehen. Daran sollten wir uns wohl gewöhnen. Wir sollten eine positive, eine rücksichtnehmende Atmosphäre schaffen. Es ist wichtig, dass wir ausdrücklich sagen: Es ist okay, mitten in einer Rede aufzustehen. Es ist okay, ein paar Meter zu gehen, den Raum zu verlassen. Trinken und essen ist nicht unhöflich, sondern akzeptiert. Das hilft nicht nur vielen von uns, sondern schafft gleichzeitig eine lockere, willkommenheißende Atmosphäre.
Es wäre für viele Behinderte, chronisch / psychisch kranke und oder neurodivergente Personen eine große Erleichterung, wenn wir Redner*innen auf andere Weise Respekt bzw. Anerkennung entgegenbringen können. Wenn wir unseren Bedürfnissen nachgehen könnten, ohne die Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen zu verletzen.
Barrierefreiheit und das Recht auf gleichberechtigte und uneingeschränkte Teilhabe sind Menschenrechte.
Und sollten damit nicht zur Diskussion stehen.
Änderungsanträge
- V4-023 (Lena Cornelissen, Koi Katha Blaeser, Elena Balke, René Adiyaman, Louisa Albrecht, Henry Soltau, Eingereicht)