Veranstaltung: | Sommer-Landesmitgliederversammlung 2018 der GRÜNEN JUGEND NRW |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 2 Inhaltlicher Schwerpunkt |
Antragsteller*in: | Mitgliederversammlung (dort beschlossen am: 15.07.2018) |
Status: | Angenommen |
Beschlossen am: | 15.07.2018 |
Eingereicht: | 10.08.2018, 09:22 |
Antragshistorie: | Version 1 |
L1-Beschluss: Kultur... gut!
Antragstext
Kultur ist ständig im Wandel. Sie spiegelt unsere Gesellschaft und verändert sie
gleichermaßen. Schon aus diesem Grund und weil sie sich aus zahllosen
(sub)kulturellen Strömungen zusammensetzt, lehnen wir als GRÜNE JUGEND NRW den
Begriff einer vermeintlichen Leitkultur ab. Kultur, das ist das, was zwischen
Menschen, also in der Gesellschaft passiert.. Kultur ist Akteur und Resulat
gesellschaftlicher Strömungen. Dass Kultur progressiv, links und emanzipatorisch
ist, schien jahrzehntelang selbstverständlich. Im aktuellen Rechtsruck sehen wir
aber, dass Kultur zunehmend zum Spielball von Rechtspopulist*innen und
Faschist*innen wird und die Rechten Kultur gleichermaßen dazu nutzen wollen, die
Gesellschaft nach rechts zu rücken. Wir befinden uns sprichwörtlich in einem
Kulturkampf.
Diesen Kampf wollen und müssen wir führen. Progressive Kulturschaffendesehen wir
in diesem Kampf als Verbündete. Es gilt die progressive, linke Kultur zu
stärken, sie auszubauen, und zu verteidigen. Leider handelt die Landesregierung
in einem anderen Sinne. Wir begrüßen, dass sie die Kulturmittel deutlich erhöht
hat, aber eine Erhöhung im Gießkannenprinzip halten wir für falsch. Die
Kulturschaffenden befinden sich in der schwierigen Lage, in einer aufgeheizten
Stimmung ihre Kulturarbeit auszuüben. Progressive Kulturprojekte sind damit auch
in der Gefahr, weniger Publikum zu generieren. Solange die Kultur aber im
neoliberalen System arbeiten muss, ergibt sich ein Widerspruch zwischen
künstlerischen Anspruch und wirtschaftlichem Erfolgsdruck. Diesen Widerspruch
muss die Landesregierung auflösen. Kultur muss so gut ausgestattet sein, dass
Künste das Risiko eingehen können, wirtschaftlich nicht erfolgreich sein zu
müssen. Und weiter noch: Die Kulturszene darf nicht, wenn sie durch das Land
gefördert wird, in ihrem freien Schaffen und Thematisieren von
gesellschaftlichen Missständen eingegrenzt oder überwacht werden. Inhalte und
Themen müssen von Fördermitteln losgelöst sein dürfen.
Gleichzeitig ist es vor allem die progressive Kultur, die unter dem Rechtsruck
leidet und angefeindet wird. In Berlin sehen wir, dass AfD & Co. die progressive
Berliner Clubkultur als Feind entdeckt hat und strukturell versucht, dieser das
(Über)Leben schwer zu machen. Die Landesregierung muss die progressive Kultur
mehr stärken, statt nur die repräsentative Kultur zu fördern. Es braucht einen
echten Kulturförderplan, der nicht nur an Eintrittszahlen gemessen wird, sondern
auch Ausrichtung und Quälität in den Fokus nimmt. Wir fordern ebenso
Rechtsschutzprogramme für Kulturschaffende, um sich gegen diesen rechten Hass
auch wehren zu können.
Viele Kulturpolitische Debatten sind geprägt von einem Gegeneinander der
sogenannten „Hochkultur“ zu der „freien Kultur“. Diese Begriffe lehnen wir ab.
Kultur sollte immer frei sein. Wenn das nicht der Fall ist, können wir
grundsätzlich nicht von Kultur sprechen. Wenn von „Hochkultur“ gesprochen wird,
werden damit meist staatliche Kulturhäuser – wie beispielsweise städtische
Theater – angesprochen. Eine sprachliche Hierachie von Kultur halten wir für
falsch. Vielmehr wollen wir progressive Kultur inhaltlich begründen und nicht
über die Fassade. Richtig ist aber, dass Kultur oftmals zu einer geschlossenen
Veranstaltung von Priveligierten wird. Diese Bewegung schadet der Kultur immens,
denn hierbei steht nicht der Inhalt der Kultur im Mittelpunkt, sondern die
Repräsentation von Privilegierten getreu dem Motto: "Sehen und gesehen werden".
Diese repräsentative Kulturlehnen wir ab. Um den Kulturschaffenden zu
ermöglichen, auf diese repräsentative Kultur zu verzichten, müssen wir ihnen
aber auch die wirtschaftliche Freiheit dafür geben – sprich den Kulturetat
deutlich erhöhen!
Die strukturell „freie Szene“, also jene, die nicht an staatlichen Häusern
arbeitet, wollen wir deutlich stärken. Zu viele „freie“ Kulturschaffenden
schaffen es nur, ihre Kultur zu leben, in dem sie sich selbst ausbeuten. Wir
begrüßen, dass die Landesregierung die Mittel der freien Szene um 50% erhöht
hat. In keinem anderen Bundesland wird die Kultur so deutlich wie in NRW von den
Kommunen getragen. Die Landesregierung hat als Bedingung für eine erhöhte
Förderung seitens des Landes formuliert, dass Kommunen die Finanzierung von
Kultur nicht zurückfahren dürfen. Diese Systematik löst nicht den deutlich zu
hohen Kommunaliseriungsgrad von Kulturausgaben in NRW. Wir fordern daher
vielmehr, dass das Land seine Beteiligung an Zielausgaben der Kommunen richtet.
Damit wollen wir ebenfalls erreichen, dass Kultur nicht mehr als "freiwillige
Leistung" so oft auf sogeannten Giftlisten von Kämmereien steht. Wir setzten uns
dafür ein, dass Kommunen pro 10.000 Einwohner*innen eine Millionen Euro in
Kultur investieren müssen, um die volle Landesunterstützung für Kultur zu
erreichen. Konsequent stellen wir uns gegen die Aushöhlung, was als
"akzeptierte" Kunst gilt und was aussortiert werden soll.
Wir verstehen die Kulturszene als Verbündete, um dem stärker werdenden
Rechtsruck ganz klar entgegen zu treten. Kultur muss Raum zum freien und
kritischen Denken bieten. Besonders in freien Räumen, in denen Menschen
gemeinsam kreativ sind, Raum zum Ausprobieren haben und Kollektive bilden,
entstehen neue Visionen und Utopien. Nicht selten ist es die Kulturszene, die
gesellschaftliche Misstände aufdeckt oder unkonventionelle Antworten,
beziehungweise Lösungswege, findet. Leider bleiben manche Ansätze oft ungehört
und laufen parallel zum politischen Geschäft als Freizeitbeschäftigung. Wir
fordern, dass die Kultur als zentraler Ort von gesellschaftlicher Debatte und
Auseinandersetzung mit Misständen ernst genommen wird und wollen, dass die
Landesregierung deshalb den Kommunen mehr Räume zur Verfügung stellt. Ein
Austausch von Politiker*innen und der Kulturszene halten wir für längst
überfällig, statt sich dieser zu Verschließen.
Kultur muss für jede*n offen stehen. Leider ist das nicht der Fall, denn Kultur
zu konsumieren ist teuer. Wir fordern daher Schritte zu unternehmen, damit alle
Menschen Kultur konsumieren können. Wir wollen Schüler*innen ermöglichen,
kostenfrei in Theater und Oper zu gehen. Den finanziellen Ausfall soll das Land
NRW den jeweiligen Kulturhäusern ausgleichen, da wir in diesem Punkt eine
sozial- bzw. bildungspolitische Notwendigkeit sehen und wir die Kommunen damit
nicht alleine lassen können. In Museen sprechen wir uns grundsätzlich für einen
kostenfreien Eintritt aus. Auch fordern wir eine bessere finanzielle Austattung
öffentlicher Bibliotheken und Büchereien, die einen niedrigschwelligen Zugang zu
Kultur und Bildung bieten. Besonders die "freie" und progressive Kultur spielt
für junge Menschen in der heutigen institutionalisierten Gesellschaft eine große
Rolle. Es muss genügend Raum und Aktion gefördert werden, in der sich junge
Menschen ausprobieren können und anders denken dürfen, als es die Gesellschaft
vorlebt. Daher müssen Kulturangebote an Wochenenenden deutlich mehr gestützt
werden. Wir fordern weitergehend, dass die Kulturszene als freie Schaffende
stärker mit Schulen und Jugendeinrichtungen zusammenarbeiten kann und diese
Arbeit finanziell stärker durch das Land unterstützt wird.
Eine Kultur für alle muss aber auch von allen gestaltet werden können. Die
Zugänge zum Arbeitsmarkt Kultur sind meist jedoch nur durch finanzielle (Selbst-
)ausbeutung möglich. Unbezahlte Praktika im Kulturbereich verstärken nur die
Zweiklassengesellschaft, die mithilfe von Kultur aufgebrochen werden sollte. Wir
fordern daher eine faire Vergütung von Praktikant*innen im Kulturbereich.
Wir müssen alte Muster aufbrechen und zeigen, dass der Arbeitsmarkt "Kultur"
nicht nur für Priviligierte zugänglich ist. Und dass der Arbeitsmarkt nicht mehr
nur weißen alten Männern gehören darf. Wenn auf der Bühne gesellschaftliche
Missstände aufgezeigt werden, dürfen diese nicht hinter den Kulissen praktiziert
werden. Es braucht eine Öffnung des Arbeitsmarktes auch für Menschen, welche in
kulturellen Bereichen keine primäre Ausbildung durchlaufen haben.
Vor zwanzig Jahren wäre es wohl kaum vorstellbar gewesen, Videospiele könnten
einmal komplexe und sogar gesellschaftskritische Kunstwerke werden, oder dass
progressive soziale Bewegungen sich in erster Linie digital abspielen könnten;
dass sich Menschen verbünden könnten, die zuvor kaum die Möglichkeit dazu gehabt
hätten. Kultur spiegelt unsere Gesellschaft und verändert sie gleichermaßen.
Kulturpolitik ist damit ein zentraler gesellschaftlicher Politikbereich.
Es gilt entsprechend, dafür Sorge zu tragen, dass die Voraussetzungen für die
Inanspruchnahme von Fördermitteln sich den veränderten gesellschaftlichen
Bedingungen, in denen Kultur existiert, anpassen und dass Kulturschaffende sich
nicht im Gegenzug diesen anpassen müssen. Wenn kleine Entwicklungsstudios für
Videospiele Fördermittel gar nicht erst in Anspruch nehmen können, weil sie die
veralteten Voraussetzungen nicht erfüllen können, ist das kein politisch
tragbarer Zustand.
Die Kultur betrachtet und thematisiert zwar alles um sie herum; Sie muss sich
aber auch selbst reflektieren und Verantwortung übernehmen. Kultur muss eine
„Arschlochfreie-Zone“ sein, um den Raum für Kreativität und Kritik zu eröffnen,
der für Kunst notwendiger Bestandteil ist.Kulturschaffende, die Untergebene und
insbesondere Frauen sexuell belästigen, ihre Macht missbrauchen oder Menschen
diskriminieren,dürfendafür keinen Freifahrtschein erhalten, weil es als Ausdruck
ihres kreativen Geistes verharmlost wird.
Die "Me too"-Bewegung muss auch genau als solche, als eine Bewegung, verstanden
werden. Und nicht als ein einmaliger Aufruf. Wir befinden uns mehr denn je in
einem Prozess, der Frauen und ihre (Re-)Präsentation in der Kultur sichtbar
machen muss. Kultur darf in diesem Kontext nicht der Verursacher von
Benachteiligung, Diskreditierung und Missbrauch von Frauen und ihren Rechten
sein. Kultur muss fortan in jedem Bereich als ein Werkzeug verstanden werden, um
auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Ein erster Schritt ist es
beispielsweise eine FIT-Quote in staatlich geförderten Kultureinrichtungen
einzuführen, um progressiver als die Frauenquote in anderen Bereichen, ein
deutliches Zeichen der Diversität der Kultur zu gehen.Darüberhinaus sollen bei
der Vergabe von Straßen-, Platz- und Gebäudenamen historische FIT* Personen
berücksichtigt werden.
Erinnerungskultur ist in Deutschland ein wichtiger Baustein für eine
demokratische und zivilisierte Gesellschaft. Die selbstkritische Beschäftigung
mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den Opfern von Verfolgung und
systematischer Ermordung ist in Zeiten, in denen Abgeordnete in deutschen
Parlamenten die NS-Geschichte einen „Vogelschiss“ nennen oder eine
"erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordern unverzichtbar und muss
ausgebaut werden. Wir setzten uns dafür ein, dass jede*r Schüler*in in der
Schulzeit eine in den Geschichtsunterricht eingebettete Gedenkstättenfahrt zu
einem Schauplatz der NS-Verbrechen unternehmen sollte. Erinnerungskultur kann
Geschichtsunterricht und Demokratiebildung nicht ersetzten undsollte auch nicht
ausschließlich in diesem Fokus gesehen werden. Erinnerungskultur schaut zwar in
die Vergangenheit,führt aber zwangsläufig zu Forderungen an die Zukunft.Die
Shoah mahnt uns: Aus"Nie Wieder" folgt für uns nicht nur der Kampfgegen jede
Form von Antisemitismus und faschistischem Vernichtungswahn, sondern auch der
Kampf für eine demokratische und offene Gesellschaft für alle Menschen.
Kulturräume sind Orte der freien undgleichbereichtigten Entfaltung für
Kulturschaffende wie Kulturkonsumierende. Im Optimalfall ermöglichen sie den
Menschen beides zugleich zu sein. Dies ist aber unvereinbar damit, wenn ein
Kulturraum gelichzeitig als Laufsteg und/oder Flaniermeile für Faschist*innen
und andere Menschenfeinde dient. Man kann nicht morgens bei der Zeitungslektüre
den gesellschaftlichen Rechtsruck beklagen und abends gemeinsam mit Nazis in
Nadelstreifen eine Theaterpremiere besuchen. Bekämpfung des Rechtsrucks findet
nicht nur im politisch-medialen, sondern auch im gesellschaftlich-kulturellen
Diskurs statt. So wie bereits jetzt die alternative Kulturszene auf den
expliziten Ausschluss jeglicher Art der Diskriminierung, Menschenfeindlichkeit
und rechten Denkweisen hinweist, fordern wir, dass sich auch staatliche
Kulturhäuser deutlich und explizit von diesen Menschen distanzieren, um ihnen
keine Bühne in dieser Szene zu geben.
Vom stumpfen Nationalismus von Frei.Wild bis zum Antisemitismus und der
Misogynie von Rappern wie Kollegah und Farid Bang, wir stellen uns gegen jede
Art von Menschenfeindlichkeit und regressiven Ideologien in der Popkultur.
Kunstfreiheit ist für uns der Schutz der freien Entfaltung von Künstler*innen
vor staatlicher Willkür und Zensur und nicht der Deckmantel menschenfeindliche
und regressive Einstellungen über den Umweg der Popkultur zu normaliseren. Aber
Menschenfeindlichkeit in Werk und Inszenierung ist nicht nur ein Problem der
Popkultur, sondern auch in der bürgerlichen "Repräsentationskultur". Blackfacing
von Schauspieler*innen auf Theater- und Operbühnen lehnen wir als rassistische
Praxis ab, insbesonderen wenn People of Color oft keine Bühne im klassichen
Kulturbetrieb geboten wird. Auch fordern wir einen kritischen Umgang mit
menschenfeindlichen Inhalten klassischer Kulturgüter, wie zum Beispiel dem
Antiziganismus in Verdis Opern.
Doch unser Kulturkampf kann kein rein defensiver sein, einstehen für eine
progressive Kultur kann nicht nur derAbwehrkampf gegen diejenigen sein, die sich
Welt und Gesellschaft wieder so wünschen wie sie in der Vergangenheit schon nie
war. Wir müssen laut für eine vielfältige und bunte Kulturlandschaft streiten.
Es kann nicht nur darum gehen, gegen die Diskriminierung von People of
Color,LGTBIQ, Menschen muslimischen oder jüdischen Glaubens, Menschen mit
Behinderungen und aller anderen Menschen, die nicht in das Bild der Rechten, wer
in unserer Gesellschaft richtig und wichtig ist, zu kämpfen, sondern mit ihnen
auch für die Sichtbarkeit zu kämpfen, die ihnen im Kulturbetrieb zusteht. Zu
einer progressiven und weltoffenen Kultur gehört auch Moscheen nicht in die
Gewerbegebiete abzuschieben, sondern ihnen, wie Kirchen, einen Platz in der
Mitte unserer Städte zu geben. Wir wollen vielfältigere Geschichten in Film und
Fernsehen sehen oder in der Literatur lesen als den heterenormativen Klassiker
"Junge trifft Mädchen" oder die immergleichen männlichen Heldengeschichten. Wir
wollen LGTBIQ-Charaktere mit derselben Selbstverständlichkeit sehen wie
heterosexuelle cisgender Charaktere. Wir blicken nach vorne und wollen eine
Kultur des 21. Jahrhunderts und nicht nur den Backlash zurück in die 50er, wie
Rechtskonservative ihn wollen, oder in die 30er, wie Fachist*innen ihn
wollen,verhindern.
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